msg Logo

Herausforderungen in der Schaden- und Unfallversicherung

Die Schaden- und Unfallversicherer stehen nach den schwierigen Jahren der Pandemie nun vor einer Situation, mit der sie schon seit Jahrzehnten nicht mehr konfrontiert waren: hohe Inflation. Der Preisauftrieb wirkt sich unterschiedlich auf die verschiedenen Sparten aus, aber klar ist: die Schadenregulierung verteuert sich extrem. Daneben müssen weitere Herausforderungen gemeistert werden wie steigende Schäden durch Naturkatastrophen, die Umsetzung komplexer regulatorischer Vorgaben zur Nachhaltigkeit, zunehmender Kostendruck oder auch wachsende Betrugsrisiken.

Inflation treibt Schadenkosten in die Höhe

Zwar verbuchten die Schaden- und Unfallversicherer in Deutschland im Jahr 2023 einen deutlichen Zuwachs der Beitragseinnahmen von 6,7 Prozent, aber der hohe Schadenaufwand machte den positiven Effekt zunichte, wie der GDV auf seiner Jahresmedienkonferenz im Januar 2024 mitteilte. Der Schadenaufwand legte mit 12,7 Prozent deutlich stärker zu als die Beitragseinahmen. Allein in der Kfz-Versicherung entstand ein Verlust von rund 2,9 Milliarden Euro durch gestiegene Preise z.B. für Reparaturen. Die Ratingagentur Assekurata geht in ihrer Analyse „Die Auswirkungen der Schadeninflation auf die Ertragskraft der Kfz-Versicherer“ (März 2024) davon aus, dass auch 2024 weitere Kostensteigerungen für Ersatzteile und Reparaturen anfallen werden.

 

Hinzu kommt, dass die rasant gestiegenen Verbraucherpreise die Kaufkraft der privaten Haushalte erheblich beeinträchtigt. Es wird weniger gespart und weniger konsumiert. Das dämpft die Versicherungsnachfrage und drückt auf die Beitragseinnahmen der Versicherer. „Nicht existentielle oder als solche empfundene Policen würden stärker gekündigt“, warnte Dennis Wittkamp, Fachkoordinator Schaden- und Unfallversicherung bei Assekurata, bereits im Mai 2023.

Massiver Anstieg der Schäden durch Naturkatastrophen

Verschärft wird die Situation durch hohe Schäden aus Naturkatastrophen. Wie aus der GDV-Naturgefahrenbilanz 2023 vom 28. Dezember 2023 hervorgeht, verursachten Wetterextreme wie Sturm, Hagel und Überschwemmungen in Folge von Starkregen Schäden von rund 4,9 Milliarden Euro. Vor diesem Hintergrund fordert der GDV, beim Schutz vor Wetterextremen nicht nur auf verpflichtende Versicherungslösungen zu setzen. „Oberste Priorität sollten klimaangepasstes Planen, Bauen und Sanieren haben. Prävention sollte fester Bestandteil der Landesbauordnungen werden. Sonst können wir uns schon jetzt auf Milliardenschäden bei künftigen Extremwetterlagen wie etwa Hochwasser gefasst machen.“, warnt GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen am 6. März 2024.

 

Die Versicherungsbranche selbst hat sich schon im Jahr 2021 ehrgeizige Nachhaltigkeitsziele gesetzt. Dazu gehören Klimaneutralität der Kapitalanlagen, ein verantwortungsvoller Umgang mit Ressourcen und die Förderung der Vielfalt.

Immenses Marktpotential für nachhaltige Produkte

Die EU-Kommission hat bereits einen umfangreichen Aktionsplan für nachhaltige Finanzen umgesetzt, der die drei Aspekte Environment, Social und Governance (ESG) in den Mittelpunkt des Finanzsystems stellt. Dabei geht es vor allem darum, nachhaltige Finanzprodukte transparent und vergleichbar zu machen und die Finanzwirtschaft zu verpflichten, das Kapital in ökologisch nachhaltigere Investitionen umzulenken. Auch die Assekuranz muss sich den hohen Anforderungen der Nachhaltigkeitsregulatorik stellen. 

 

Nachhaltigkeit ist aber nicht nur eine regulatorische Pflicht, sondern bietet auch Chancen. So haben 90 Prozent der Versicherungskunden in Deutschland Interesse an nachhaltigen Versicherungsprodukten, wie eine Konsumentenstudie der Unternehmensberatung E&Y (März 2023) ergab. Die Experten von E&Y sehen ein „immenses Marktpotential für nachhaltige Produkte“. Auch in der Kompositversicherung spielen ESG Kriterien in der Produktgestaltung eine immer bedeutsamere Rolle.

IT-Modernisierung zählt zu den Top-Themen

Angesichts der Entwicklung sind die Schaden- und Unfallversicherer gezwungen, ihre Kosten zu senken. Das sollte allerdings nicht zu Lasten des Kundenservice gehen. Denn die Schadenbearbeitung ist einer der wichtigsten Touchpoints zwischen Versicherer und Kunde. Die Kosten zu senken und dabei einen ausgezeichneten Kundenservice zu gewährleisten, ist ein Balanceakt, der nur mit einer modernen IT gelingen kann. 

 

 

Legacy-Systeme bremsen den notwendigen digitalen Wandel oft aus. Neue digitale Geschäftsmodelle, reibungslose Customer Journeys oder die Anbindung an Plattformen und Ökosysteme lassen sich mit veralteten Systemen kaum realisieren. Die Versicherer wissen das: Laut der Studie „Navigating through Stormy Times – Insurance Markets and Technology in 2023” von Sollers Consulting, zählt Automatisierung zu den Top-Themen der Versicherer in den USA, UK und Europa. Um das Potential der Automatisierung zu nutzen und damit effizienter zu werden, setzen Versicherer auf die Modernisierung ihrer Kernsysteme.

Geringere Kosten und mehr Agilität durch Cloud Computing

In diesem Kontext spielt auch der Einsatz von Cloud-Technologien eine wichtige Rolle. Wie aus dem Cloud Report 2023 von Bitkom hervorgeht, ist Kosteneffizienz dabei ein entscheidender Faktor. Vor allem für kleinere Versicherungsunternehmen bietet der Einsatz von SaaS-Lösungen im Schadenmanagement Kostenvorteile. Cloud-Lösungen ermöglichen neben einer besseren Skalierbarkeit auch höhere Innovationsfähigkeit, kürzere Entwicklungszyklen und größere Agilität. Laut KPMG-Studie „Cloud-Nutzung im Finanzsektor“ von Oktober 2023 verfolgen rund 63 Prozent der befragten deutschen Finanz- und Versicherungsunternehmen inzwischen eine Cloud-First-Strategie.

Plattformökonomie und Ökosysteme

Eine moderne IT-Architektur ist zudem Grundlage für die Anbindung an digitale Plattformen bzw. die Teilnahme an Ökosystemen. Und daran kommen Versicherer nicht vorbei, meinen die Verfasser des „Global Insurance Outlook 2023“ der Managementberatung EY: Versicherer sollten Kooperationen mit anderen Marktteilnehmern eingehen und gemeinsame Ökosysteme schaffen, um den Markt mit neuen Produkten und Dienstleistungen zu revolutionieren. Wer auf die richtige Ökosystemstrategie setze, werde von einem besseren Risikomanagement, neuen Ertragsquellen und niedrigeren Versicherungsansprüchen profitieren. 

 

Voraussetzung dafür sind konfigurierbare Prozesse und ein Mix aus offenen und konfigurierten Schnittstellen. Das bietet dem Versicherer die Möglichkeit, sich ein eigenes Ökosystem Schaden aufzubauen oder sich mit seinen Services in ein anderes Ökosystem einzubinden. 

 

In diesem Zusammenhang bietet eine dynamische Preisentwicklung einen enormen Wettbewerbsvorteil. Denn so lassen sich neue und individuell auf den Kunden zugeschnittene Versicherungsprodukte schnell am Point of Sale verfügbar machen. Mit einer komponentenbasierte Software-Architektur, die einem produktzentrierten Ansatz folgt, kann die Produktmodellierung und Time-to-Market erheblich beschleunigt werden. So sind Versicherer in der Lage, sich schnell an neue Marktanforderungen anzupassen und neue Trends aufzugreifen.

Von der Kfz-Versicherung zum Mobilitätsschutz

Das ist auch in Zeiten des Mobilitätswandels ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Vernetzte Fahrzeuge, autonomes Fahren oder Car Sharing – die Absicherung neuer Mobilitätsformen erfordert die Entwicklung neuer Absicherungsmodelle und eine Zusammenarbeit mit Ökosystempartnern. Laut „World Property and Casualty Insurance Report 2023“ von Capgemini könnten die Versicherungsbeiträge weltweit aufgrund des Mobilitätswandels bis 2030 von rund 70 Milliarden Dollar auf 570 Milliarden Dollar steigen.

Embedded Insurance – ein vielversprechender Trend

Ein IT-System mit offenen Schnittstellen ist zudem die Basis für das Modell Embedded Insurance (eingebettete Versicherungen). Dabei werden Versicherungsprodukte in das Angebot von Dritten eingebunden, wie z.B. eine beim Fahrradkauf integrierte Diebstahlversicherung. Der Markt ist äußerst vielversprechend: Allein in der Sachversicherung erwarten die Experten von Munich Re eine jährliche Wachstumsrate weltweit von 25 Prozent bis 2030, das entspricht rund 20 Prozent des gesamten Marktvolumens.

Versicherungsbetrug mit Hilfe von KI aufspüren

Moderne und integrierte IT-Systeme, die den Einsatz KI-gestützter Technologien ermöglichen, sind auch ein Muss angesichts hoher Schäden durch Versicherungsbetrug. Schätzungen des GDV zufolge entstehen den Versicherern allein in der deutschen Schaden- und Unfallversicherung Schäden von rund 5 Mrd. Euro/Jahr. Mit Hilfe KI-basierter Betrugserkennungssoftware können betrügerische oder verdächtige Schadenmeldungen rechtzeitig erkannt und aufgedeckt werden. Der Einsatz von KI-Technologien bietet entlang der gesamten Wertschöpfungskette erhebliches Potential. So lassen sich z.B. auch in der Schadenregulierung Prozesse verbessern und beschleunigen.

Fazit

Die Schadenversicherer stehen vor vielfältigen Herausforderungen. Mit hochautomatisierten und schnittstellenfähigen IT-Systemen und KI-basierten Technologien verfügen sie über die beste Voraussetzung, um ihre Marktposition zu stärken und sich im Wettbewerb erfolgreich zu behaupten. Auch die Beratungsgesellschaft Deloitte bilanziert in ihrer Analyse „Zukunftsmodell 2035. Szenarien Schadenversicherung“ (Januar 2024): Zu den entscheidenden Erfolgsfaktoren in der Schadenversicherung zählen „Anpassungsfähigkeit, die Fähigkeit zur digitalen Transformation und die Bereitschaft, innovative Technologien zu nutzen“.