Zwischenbilanz zum BRSG (2): Das Sozialpartnermodell braucht noch Zeit
Die Versicherungsbranche ist bereit für die neue Zielrente auf Basis einer reinen Beitragszusage (rBZ). Im Rahmen der GDV-Jahrespressekonferenz 2019 stellte GDV-Präsident Weiler jedoch fest, es habe bisher noch „keine einzige Tarifverhandlung“ zum Sozialpartnermodell gegeben. Was sind die Gründe für diese Situation? Wie ist die Haltung der Tarifparteien zu den Eckpfeilern des Modells?
Positive Resonanz bei den Arbeitgebern
Laut einer Umfrage von Talanx im November 2018 kommt das Sozialpartnermodell bei den Arbeitgebern gut an: 73 Prozent beurteilen die neue Form der bAV positiv. Doch sehen die Arbeitgeber beim Sozialpartnermodell auch Nachbesserungsbedarf. „Das Tarifvertragserfordernis schränkt das Verbreitungspotenzial der rBZ ein, die Vorgabe des Sicherungsbeitrags ist unklar und greift unnötig in die Tarifautonomie ein, automatische Entgeltumwandlung und Opt-out-Modelle werden erschwert statt erleichtert“, stellte Alexander Gunkel, Mitglied der Hauptgeschäftsführung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), anlässlich der Fachkonferenz „4. Berliner bAV-Auftakt“ Anfang Februar fest. Zudem hätten Gewerkschaften andere Prioritäten gesetzt – etwa Arbeitszeitverkürzung bei Metall.
Pflichtzuschuss für bestehende Verträge
Ein weiteres wichtiges Thema ist der Pflichtzuschuss für bestehende Verträge durch die Arbeitgeber ab dem Jahr 2022. Dieser Zuschuss lässt sich in den Unternehmen offenbar schwerer umsetzen als erwartet. Das geht aus einer Umfrage hervor, die die BBVS Beratungsgesellschaft für betriebliche Versorgungssysteme und das Deutsche Institut für Altersvorsorge (DIA) durchgeführt haben, wie das Online-Magazin „Pfefferminzia“ am 4. Oktober 2018 berichtet. Dabei sollte ermittelt werden, ob und wie die Versicherer bei Bestandsverträgen eine Aufstockung der Einzahlungen überhaupt zulassen.
„Arbeitgeber, die in der Vergangenheit mit der Einstellung neuer Mitarbeiter deren bestehende Direktversicherung übernommen haben, werden mit einer Vielfalt von Bedingungen konfrontiert sein und müssen für jeden einzelnen Vertrag eine Lösung finden“, sagt BBVS-Geschäftsführer Karsten Rehfehldt. In zahlreichen Fällen könnten Bestandsverträge gar nicht um die vorgeschriebenen 15 Prozent erhöht werden. Die genutzten Tarife seien entweder bereits geschlossen oder der Rechnungszins so hoch, dass die Versicherer gar keine Beitragserhöhungen mehr gestatten wollen. Daher seien in vielen Fällen die Arbeitgeber gezwungen, einen Neuvertrag abzuschließen.
Zurückhaltung der Gewerkschaften
Doch die großen Gewerkschaften halten sich bislang bedeckt, wie das „Versicherungsmagazin“ am 22. Januar 2019 berichtet. Die Gewerkschaften verwiesen auf bestehende „gute Lösungen“. So hat die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) eigene Tarifverträge zur betrieblichen Altersvorsorge, die IG Bau verfügt über eigene Sozialkassen und die IG BCE hat ein eigenes Chemieversorgungswerk.
Darüber hinaus müssten laufende Tarifverträge erst mal enden, bevor neue Abkommen mit der Option einer reinen Beitragszusage für neue Mitarbeiter vereinbart werden können, heißt es weiter. Vor allem aber stößt das im Gesetz vorgeschriebene Garantieverbot bei Gewerkschaften und Arbeitnehmern auf Skepsis.
Beschäftigte wollen an Garantien festhalten
Nach einer repräsentativen Umfrage des Beratungsunternehmens Aon vom Dezember 2018 sind nur maximal 12,2 Prozent der Beschäftigten bereit, für eine höhere Rente ein gewisses Risiko in Kauf zu nehmen. Alle anderen Befragten bevorzugen entweder Garantien oder sind unentschlossen. Aon hatte rund 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Großunternehmen mit mehr als 10.000 Beschäftigten befragt.
Auch GDV-Präsident Wolfgang Weiler konstatierte auf der Jahrespressekonferenz der Versicherungswirtschaft am 29. Januar 2019 in Berlin, dass vor allem das im BRSG vorgesehene Garantieverbot zu kritischen Nachfragen bei den Arbeitnehmern und zu einem erheblich höheren Kommunikationsbedarf bei der Vermarktung möglicher Sozialpartnermodelle führe. Der Ball liege jetzt im Spielfeld der Sozialpartner.
Zu einem Sozialpartnermodell gehören zwei
Doch es gibt noch andere Gründe für die Zurückhaltung der Gewerkschaften. Entscheidend sei, dass auch die Arbeitgeber einen finanziellen Beitrag leisteten, meint Norbert Reuter, Tarifexperte von Verdi, laut „Frankfurter Zeitung“ vom 6. Februar 2019. „Zu einem Sozialpartnermodell gehören immer zwei. Es kann nicht sein, dass diejenigen, die ohnehin schon vergleichsweise wenig verdienen, auch noch allein für die Betriebsrente aufkommen müssen.“ Letztlich bedeute die neue Regelung, so Reuter, dass die Beschäftigten auf einen Teil der Gehaltserhöhung verzichten müssten.
Außerdem sei die Umsetzung des Sozialpartnermodells in der Praxis schwierig wegen der Streubreite in Sachen bAV im Verantwortungsbereich von Verdi, gibt Stephan Teuscher auf der Fachkonferenz 4. Berliner bAV-Auftakt Ende Januar 2019 zu Bedenken. Er ist der Leiter des Fachbereichs Postdienste, Speditionen und Logistik von Verdi. Die Logistikbranche sei stark fragmentiert. Viele Firmen haben weniger als 50 Beschäftigte. „Dennoch haben wir Verantwortung, die bAV voranzutreiben,“ sagt Teuscher.
bAV lässt sich nicht mit Lohnverzicht erkaufen
Nach Ansicht von Teuscher ist die neue Betriebsrente für kleine und mittelständische Unternehmen nur über einen Flächentarifvertrag machbar. Oft seien aber keine Tarifverträge vorhanden, diese OT-Mitgliedschaft (ohne Tarifbindung) in Arbeitgeberverbänden sei weit verbreitet und erschwere die bAV-Umsetzung. Teuscher kritisiert, dass Arbeitgeber in diesen Branchen bisher nur über die bAV redeten, wenn eine Tarifrunde bevorstehe. „Die Hoffnung, bAV mit einem Lohnverzicht zu erkaufen, ist in Branchen mit ausgeprägt geringen Einkommen nicht realisierbar“, meint Teuscher.
Das deckt sich auch mit einer Umfrage von Willis Towers Watson vom Dezember 2018 unter knapp 50 Unternehmen. Das Gesetz werde eine weitere Verbreitung der bAV unter Geringverdienern oder in kleinen und mittelständischen Unternehmen allenfalls teilweise bewirken. Ein weiteres Ergebnis der Umfrage: Fast jedes zweite befragte Unternehmen plant im Zusammenhang mit dem BRSG, seine bAV auszubauen oder anzupassen. Dabei werden zunächst „Pflichtthemen“ wie der neue Arbeitgeberzuschuss zu Mitarbeiterbeiträgen in die bAV bearbeitet. Letzterer werde die Verbreitung der bAV nach Ansicht von knapp 60 Prozent tatsächlich fördern.
Akzeptanz schaffen
Sicherheit ohne herkömmliche Garantien ist eine vertriebliche und psychologische Herausforderung. Arbeitgeber wie Gewerkschaften, aber auch die Versicherungsunternehmen sind hier gleichermaßen gefordert, durch umfangreiche kommunikative Maßnahmen Akzeptanz für den Garantieverzicht zu schaffen. In Zeiten einer langanhaltenden Niedrigzinsphase liefern ihnen die höheren Renditeaussichten bei diesem Modell gute Argumente.
Das wird voraussichtlich Zeit brauchen, doch hat zuletzt Bundesarbeitsminister Heil den Druck auf die Sozialpartner erhöht. Offensichtlich ist die Bundesregierung unzufrieden mit den bisherigen Resultaten. Am 20. Februar bat Heil Vertreter von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden zu einem (nichtöffentlichen) Austausch, in dem unter anderem das Betriebsrentenstärkungsgesetz und das Sozialpartnermodell diskutiert werden sollten.
Großer Versicherer und Verdi wollen bald ein Sozialpartnermodell realisieren
Das Ergebnis dieses „Krisengesprächs“ sei dahingestellt – zuletzt kam jedoch Bewegung in das Thema: Bei der Veranstaltung „Sozialpartnermodelle jetzt!“ des Eberbacher Kreises Anfang März in Berlin kündigte Andrea Kocsis, stellvertretende Vorsitzende bei Verdi, auf der Podiumsdiskussion der hochkarätig besetzten Tagung an, dass ihre Gewerkschaft in den nächsten Monaten ein Pilotprojekt mit einem Versicherungskonzern auf den Weg bringen will. Den Namen des Versicherers wollte Kocsis noch nicht nennen, da die Planungen und Vorbereitungen für das große Projekt noch im vollen Gange seien. Kosics bestätigte, dass Versicherer sehr interessiert seien an den Sozialpartnermodellen. Es stünden „täglich Versicherer vor der Tür“, um Angebote für Sozialpartnermodelle zu machen. Kocsis ergänzte, dass derzeit auch für „ein Unternehmen im Luftverkehr“ ein Tarifvertrag konzipiert werde.
Man darf gespannt sein, ob und wann diesen Ankündigungen Taten folgen werden. Doch je konkreter die Hinweise für eine erste Realisierung werden, umso wichtiger wird auch die Klärung offener fachlicher Fragen und Herausforderungen.
Fachliche Herausforderungen
Die reine Beitragszusage ist in Deutschland etwas völlig Neues. Daher verwundert es nicht, dass es noch zahlreiche fachliche Herausforderungen bzw. zu klärende Fragen gibt. Das reicht von Fragen zur Bilanzierung bis hin zu Detailfragen zum Versorgungsausgleich. Und das ist noch nicht alles.
Vor allem die Frage des Umgangs mit (kollektiven) Puffern bietet hinreichend Stoff für Fachdiskussionen. Um die Risiken der Kapitalanlage abzumildern, können kollektive Puffer aufgebaut werden, die in schlechten Zeiten Rentenkürzungen vermeiden oder zumindest abmindern sollen. Konkret stellen sich zum Beispiel Fragen zum Umgang mit fiktiven Anteilen an kollektiven Puffern, die in diversen Arbeitsgruppen (u.a. der DAV) diskutiert werden.
Weitere Fragen im Umfeld des Themas sind offen. Wie können zum Beispiel kollektive Komponenten ausgestaltet werden? Wie kollektiv dürfen sie sein? Wie hoch darf das Verhältnis zwischen individuellen und kollektiven Anteilen am Anwartschaftsvermögen sein? Sind möglicherweise gar 100 Prozent kollektive Anteile erlaubt?
Daneben stehen generelle Fragen zur adäquaten Verwendung von Puffern im Raum: Dürfen Puffer zum Beispiel für sozialpolitische Zwecke genutzt werden, etwa zur Vermeidung von Kürzungen von Renten, die einen festgelegten Betrag unterschreiten? Auf diese Fragen müssen die Sozialpartner Antworten finden, wenn es um die konkrete Ausgestaltung eines Sozialpartnermodells geht.
Fazit
Mehr als ein Jahr nach Inkrafttreten des Betriebsrentenstärkungsgesetzes hakt es noch bei der konkreten Umsetzung – bisher haben die Tarifparteien noch kein einziges Sozialpartnermodell abgeschlossen.
Die Versicherungsbranche hat mit der Gründung mehrerer Konsortien ihren Teil der Aufgaben erledigt und ist „angebotsfähig“. Doch die Tarifparteien – Arbeitgeber und Gewerkschaften – zögern. Das Sozialpartnermodell ist eine neue und äußerst komplexe Materie und darüber hinaus tragen die Sozialpartner für die Mitglieder, die sie vertreten, eine hohe Verantwortung. Es braucht Zeit, bis sich alle Beteiligten eine Meinung gebildet haben und Vorbehalte ausgeräumt sind.
Hier muss nun die Versicherungsbranche aktiv werden und Wissenslücken schließen bzw. Überzeugungsarbeit leisten. „Eine breit angelegte öffentliche Informationskampagne hätte die Neuerungen und Chancen des BRSG den Arbeitgebern und Arbeitnehmern näherbringen können. Nun muss sich insbesondere die Versicherungsbranche darum kümmern, dass die Wirkung nicht verpufft“, so Clemens Vatter, Konzernvorstand der Signal Iduna, laut dem Onlinedienst „Pfefferminzia“ (März 2019). Es gilt, durch intensive Aufklärung über kollektive Sicherheitsmechanismen zum einen Akzeptanz zu schaffen für den Verzicht auf Garantien. Zum anderen müssen die Versicherer durch effiziente digitale Angebote Transparenz schaffen bzw. den Beteiligten die Angst vor der Komplexität bei der Umsetzung des Gesetzes nehmen. Dann kann das „sozialpolitische Mondlandungsmoment“ (Felix Hufeld) eines Sozialpartnermodells Realität werden.