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P&C

Von der Kfz-Versicherung zum Mobilitätsschutz

Von Wolfgang Wittmann / 11. Februar 2025

Der Mobilitätssektor steht vor tiefgreifenden Veränderungen. Das wirkt sich auch auf die Autoversicherer aus. Um den Kundenerwartungen in einer multimodalen Welt gerecht zu werden, braucht es übergreifende Versicherungslösungen, die über die traditionelle Kfz-Versicherung hinausgehen.

Mobilität als Dienstleistung

Car Sharing, E-Scooter oder Ride Hailing, die Möglichkeiten von A nach B zu kommen, sind heute vielfältiger denn je. Der Besitz eines eigenen Autos galt lange als Garant uneingeschränkter Mobilität. Doch heute geht es weniger um den Besitz eines Fahrzeuges als um dessen Nutzung. Vor allem jüngere Menschen, die großen Wert auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz legen, erwerben Mobilität häufig nicht mehr als Produkt, sondern als Dienstleistung. „Wir haben viel mehr Nutzungsarten und gehen weg vom Besitzen hin zum Nutzen von Mobilität“, sagt Thorsten Krüger, Chef des Volkswagen Versicherungsdienstes (VVD), in einem Interview mit dem „Handelsblatt“ im März 2023.

Eine Police für alle Mobilitätsrisiken

Neben der gemeinschaftlichen Nutzung von Fahrzeugen prägen E-Mobilität, vernetzte Fahrzeuge und autonomes Fahren den schnell voranschreitenden Mobilitätswandel. Diese Transformation spürt auch die Versicherungsbranche. Die neuen Mobilitätsformen erfordern neue Absicherungsmodelle und eine Zusammenarbeit mit Ökosystempartnern, schlussfolgern die Experten von Capgemini und Qorus im „World Property and Casualty Insurance Report 2023“. Der Studie zufolge wünscht sich fast die Hälfte der Versicherungskunden eine einzige Police für alle Mobilitätsrisiken, d.h. eine Police, die alle von ihnen genutzten Transportmittel abdeckt. Vor diesem Hintergrund, so raten die Experten von Capgemini, sollten Kfz-Versicherer ihren Fokus auf den Schutz von Mobilität legen und nicht mehr auf das Versichern von Fahrzeugen.

Verändertes Mobilitätsverhalten bietet enormes Potential

Das kann sich laut Studie auszahlen: Durch das sich wandelnde Mobilitätsverhalten können die weltweiten Versicherungsbeiträge für ACES-Fahrzeuge von derzeit rund 70 Milliarden Dollar auf 570 Milliarden Dollar im Jahr 2030 steigen. Das Akronym ACES steht für autonomous, connected, electric, shared (autonom, vernetzt, elektrisch, geteilt) und damit für die derzeit wichtigsten Trends in der Automobilindustrie.

Verluste in der Kfz-Versicherung

Dieses vielversprechende Potential sollten sich Kfz-Versicherer zunutze machen, denn sie sind mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert. In den USA verloren die Kfz-Versicherer in den Jahren 2022 und 2023 rund 53 Milliarden Dollar, wie aus einer Analyse des Rückversicherers SwissRe vom 25. April 2024 hervorgeht. Grund dafür waren unter anderem hohe Reparatur- und Ersatzteilkosten, hohe Lohnkosten und Lieferkettenunterbrechungen.

 

Auch in Deutschland verbuchte die Kfz-Versicherung im vergangenen Jahr einen Verlust von 2,9 Milliarden Euro, wie der Branchenverband GDV Anfang 2024 mitteilte. Wegen der roten Zahlen mancher Autoversicherer und rasant gestiegener Beschwerdezahlen stehen die Kfz-Versicherer unter Beobachtung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), wie die Fachzeitschrift „Versicherungswirtschaft heute“ am 29. April 2024 berichtet.

Vom Produktentwickler zum Lösungs-Co-Designer

Anlass genug für die Autoversicherer, die Chancen zu ergreifen, die sich durch die Mobilitätswende ergeben. „Mobilität ist das Herz der Welt von morgen. Sie steht auch im Zentrum der Sorgen von Versicherern, die ihr Geschäftsmodell von Grund auf erneuern müssen, um sich auf die tiefgreifenden Veränderungen einzustellen, die die Kfz-Versicherungsbranche bedrohen“, sagt John Berry, CEO von Qorus.

 

Versicherer müssen den Schritt vom „Produktentwickler zum Lösungs-Co-Designer wagen“, empfehlen die Verfasser der Studie. Eine Möglichkeit besteht darin, ein Mobilitäts-Ökosystem mit modularen Versicherungs-Abonnements aufzubauen. Ein solches Baustein-System ermöglicht es Versicherern, genau die Leistungen anzubieten, die dem jeweiligen Bedarf des Kunden entsprechen und zugleich einen übergreifenden nahtlosen Versicherungsschutz zu erfüllen.

 

Vor diesem Hintergrund werden laut Studie drei Geschäftsmodelle von zentraler Bedeutung sein:

  • Usage-based Insurance (nutzungs- und verhaltensbasierte Versicherungen wie z.B. Pay-as-u-drive- oder pay-how-u-drive-Tarife)
  • Embedded Insurance
  • Modular Subscription Insurance (modulare Versicherungs-Abonnements, wie z.B. eine zusätzliche Haftpflichtversicherung für Mikromobilität (E-Scooter, E-Bikes etc.) im Abo-Modell)

EU Data Act könnte Telematik-Markt beleben

Bislang fristen z. B. Telematik-Angebote wie Pay as u drive-Tarife in der Kfz-Versicherung eher ein Nischendasein: Der Telematik-Markt komme nicht über eine Nische von vier bis sechs Prozent des Bestands hinaus, sagt Marco Morawetz, Head of Consulting bei dem Versicherer Gen Re, laut „Versicherungsmagazin“ vom 11.Juli 2024. Der EU Data Act, der im Januar 2024 in Kraft trat und ab September 2025 angewendet wird, könnte dem Telematik-Markt allerdings Schwung verleihen. Das Gesetz soll den Zugang zu einer Reihe zusätzlicher Datenquellen, einschließlich Telemetriedaten aus Fahrzeugen, ermöglichen. Damit wird der Zugriff auf alle Fahrzeugdaten für Dritte geöffnet, was bisher von Kfz-Herstellern verhindert wird. Durch die Verbindung der Fahrverhaltensdaten mit weiteren Informationen wie Fahrassistenzsystemen, Verkehrsbedingungen oder Wetterverhältnissen, können faire und innovative Prämienmodelle entwickelt und die Akzeptanz gesteigert werden.

Versicherer nicht vorbereitet auf Mobilitätswandel

Technologien wie Machine Learning, Künstliche Intelligenz, Cloud etc. bilden die Grundlage für die Realisierung innovativer Geschäftsmodelle. Sie gelten als Enabler für die Teilnahme an Ökosystemen bzw. Mobilitätsplattformen, personalisierte Value-Added-Services, bessere Risikobewertung und eine schnelle Schadenbearbeitung. Eine IT-Infrastruktur, die das Potential dieser Technologien nutzen kann, ist ausschlaggebend, um den Mobilitätswandel mitzugestalten. Das wissen auch die Versicherer. Allerdings fürchten sie, dass sie auf die Mobilitätswende noch nicht ausreichend vorbereitet sind. Der Studie zufolge gehen 63 Prozent davon aus, dass ihre technologischen Fähigkeiten unzureichend sind und 45 Prozent, dass sie die veränderten Erwartungen der Kunden noch nicht erfüllen können.

Fachliche und technische Herausforderungen für bestehende Systeme

Wenn z.B. ein Versicherungsnehmer in Urlaub fahren möchte und dafür den Versicherungsschutz des Kraftfahrzeugs auf Vollkasko erhöhen will, muss dafür in bestehenden Systemen oft eine komplett neue, zweite Police angelegt werden. Eleganter wäre es, eine kurz laufende Zusatzdeckung in eine bestehende Police als so genannte Kurzfristversicherung einzubetten. Das ist technisch zwar möglich, erfordert aber eine Anpassung, da sich dadurch der Fachprozess verändert bzw. erweitert.

Herausforderung: Objekt ohne Daten versichern

Auch Mobilitätsversicherungen können nur mit technischen und fachlichen Anpassungen abgebildet werden. Denn der Gegenstand der Versicherung ist nicht mehr das konkrete Fahrzeug, sondern die Mobilität des Versicherungsnehmers. Während traditionell das Fahrzeug mit allen entsprechenden Daten (Fahrzeug, Zulassung, Schadenfreiheitsbetrag etc.) versichert wird, handelt es sich bei einer Mobilitätsversicherung technisch um die Versicherung eines Objekts ohne Daten. Das stellt mit bestehenden Systemen eine Herausforderung dar. Eine Steuerung über einen Vertrag ist herausfordernd, eine Steuerung über einen zweiten Vertrag ist noch schwieriger, da z.B. andere Dialoge benötigt werden. Ein All-Sparten-Ansatz (SHUK) bietet hier einen klaren Vorteil, da ein Plattformansatz flexibler konfigurierbar ist als ein klassisches, hart verdrahtetes KfZ-System.

 

Ein weiteres Beispiel sind Mobilitätsanbieter im Car-Sharing. Unternehmen, die Kfz-Fuhrparks versichern, so genannte Flottenversicherer, können z.B. Gruppenversicherungen für die eigenen Mitarbeitenden mit besseren Konditionen anbieten. Voraussetzung dafür ist ein neues System, in dem alle Vertragsbedingungen abgebildet werden. Wenn z.B. ein Vermittler einen Gruppenvertrag aufruft, sind dort je nach Fahrzeugtyp individuelle Kosten und der gewünschte Umfang der Versicherung hinterlegt. Je größer der Fuhrpark ist, desto individueller sind die Konditionen, die damit eine Privatversicherung ablösen.

 

 

 

 

Photo by Diana Light / Unsplash

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