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Künstliche Intelligenz

Künstliche Intelligenz: Use Cases in der Assekuranz (Teil 1)

Von Michaela Duhr / 9. Februar 2021

Während im ersten Blogbeitrag zum Thema Künstliche Intelligenz (KI) in der Versicherungsbranche zunächst Begriffe wie KI, Machine Learning (ML) oder Deep Learning erläutert und voneinander abgegrenzt wurden, geht es jetzt weg von der Theorie hin zur Praxis. Potenziale für den wertsteigernden Einsatz von KI in Versicherungsunternehmen gibt es entlang der gesamten Wertschöpfungskette – zum Beispiel in der Schadenprävention, Risikoprüfung, Produktentwicklung und -gestaltung oder Kundenkommunikation. Mit Hilfe von KI können zunehmend komplexe Prozesse automatisiert ablaufen und Entscheidungsprozesse nachhaltig optimiert werden, was insgesamt Zeit und Kosten spart. In den folgenden Beiträgen werden ausgewählte konkrete Anwendungsfälle vorgestellt, ehe wir in weiteren Beiträgen ausführlich auf den Einsatz KI-basierter Methoden bei der Migration eingehen werden. Die hier beschriebenen Lösungen basieren meist auf einer Mischung aus verschiedenen Verfahren und Methoden der Künstlichen Intelligenz und Data Analytics bzw. Data Mining.

Betrugserkennung mit Hilfe von KI

Ein Mann, der sich absichtlich von einem Zug die Hand abtrennen lässt, um eine millionenschwere Versicherungssumme zu ergattern oder ein angeblicher Rollstuhlfahrer, der Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung abkassieren will, sich jedoch im Internet als erfolgreicher Marathonläufer präsentiert. Es gibt noch viele andere, weniger spektakuläre Formen des Versicherungsbetrugs. In Deutschland entsteht Schätzungen zufolge ein Schaden von jährlich bis zu fünf Milliarden Euro allein in der Schaden- und Unfallversicherung, heißt es in einer Pressemitteilung des GDV vom 27. August 2020.

Zahlreiche Versicherer nutzen mittlerweile KI-basierte Lösungen, um den Betrügern auf die Schliche zu kommen. So können mit Hilfe einer Betrugserkennungssoftware riesige Datenmengen aus verschiedenen Quellen analysiert werden, um atypische Schadenmerkmale herauszufinden. Diese werden dann noch einmal genau unter die Lupe genommen. Versicherer wie Allianz, Signal Iduna oder VIG nutzen die Betrugserkennungssoftware von FRISS. Das Insurtech gilt als führend in der Entwicklung von KI-basierten Betrugs- und Risikolösungen für Komposit-Versicherer.

Ganzheitlicher Blick auf den Schadenfall

Die Prüfung von Schadenmeldungen mit Blick auf mögliche Betrugsfälle ist seit langer Zeit fester Bestandteil der Schadenbearbeitung. So gelingt es bereits mit einfachen statistischen Verfahren, Ausreißer oder Unregelmäßigkeiten in den Schadendaten zu erkennen, die ein Hinweis auf Betrug sein können. Mit neueren KI-Methoden sind sehr viel weitergehende Analysen möglich.

Seit Mai 2020 verwendet auch die DEVK im Kfz-Bereich eine SaaS-Lösung von FRISS. Die Software analysiert mit Hilfe von KI, ob Bilder von Schäden nachträglich manipuliert oder bereits zuvor in anderen Fällen verwendet wurden. Bei Ungereimtheiten bzw. Auffälligkeiten warnt die Software. Mit der Lösung erhalten die Schadensachbearbeiter Infos in Echtzeit und eine ganzheitliche Sicht auf jeden einzelnen Schadenfall.

Auch soziale Netzwerke können wichtige Hinweise auf Betrug liefern. So bietet das in New York ansässige IT-Unternehmen Hanzo eine Software, die soziale Netzwerke nach möglichen Beweisen für betrügerische Schadenmeldungen effizient durchforstet. Wenn ein Versicherungsnehmer fälschlicherweise behauptet, bei einem Autounfall verletzt worden zu sein, aber in dieser Zeit im Skiurlaub war, lässt sich das möglicherweise über dessen Social-Media-Aktivitäten herausfinden.

Schadenprävention mit Aqualytix

Mit KI und Data Analytics können auch Treiber von Schäden identifiziert und Schadenwahrscheinlichkeiten besser vorhergesagt werden. Beispiel Wohngebäudeversicherung: Rund 50 Prozent der Schäden entfallen auf Leitungswasserschäden. In 2019 waren es erstmals über 3 Milliarden Euro, wie der GDV im November 2020 mitteilte. Der Rückversicherer Munich Re hat deshalb das digitale Tool „Aqualytix“ entwickelt. Mit Hilfe von ML werden damit unter anderem die Risikotreiber pro Gebäude identifiziert und Schadenprognosen erstellt. Erstversicherer können so ihre Portfoliosteuerung und damit ihre Schadenquote verbessern, heißt es in einer Pressemitteilung von Munich Re vom 21. Oktober 2019.

Allianz Schaden Express automatisiert Schadenabwicklung

Zur Kfz-Schadenabwicklung bietet die Allianz in Österreich seit einigen Jahren die App „Allianz Schaden Express“. Damit können Kunden ihre Fotos per Handy zur Dokumentation des Fahrzeugschadens eingeben. Ein Algorithmus vergleicht den vorliegenden Schaden mit vergangenen Schäden, die bereits in einer zentralen Datenbank gespeichert sind. So kann der Schaden in wenigen Minuten analysiert und eingeschätzt werden. Laut Allianz erhält der Kunde innerhalb einer Stunde Rückmeldung zu den nächsten Schritten der Schadenbearbeitung, z.B. eine Reparaturfreigabe.

Vorhersage von Sachschäden mit Remote Industries

Naturkatastrophen wie Hurrikans, Erdbeben oder Überschwemmungen verursachen jährlich Schäden in Milliardenhöhe. Versicherer stellt das vor enorme Herausforderungen. Munich Re hat deshalb unter dem Namen „Remote Industries“ eine Reihe von Hurrikan-Werkzeugen entwickelt, berichtet das Unternehmen am 25. Mai 2020 auf seiner Webseite. Remote Industries verwendet Luftbildaufnahmen, Computervision sowie Maschinelles Lernen, um Versicherungsträgern ein kostengünstigeres und schnelles Verfahren zur Schadenbearbeitung in Verbindung mit Hurrikanen und Tornados zu bieten. Die Anwendung kann genau angeben, wie viel Schaden ein Dach oder Gebäude erlitten hat.

Der Lösungsansatz basiert auf hochauflösenden Bildern aus der bemannten Luftfahrt über den Vereinigten Staaten und der Karibik. Remote Industries ist zudem in der Lage, zwei Tage vor Eintreffen eines Hurrikans den Ort und die Wahrscheinlichkeit von Sachschäden vorherzusagen. Über eine effizientere Schadenabwicklung hinaus können auf Basis dieser Informationen Präventionsmaßnahmen getroffen oder Versicherungsbetrug aufgedeckt werden.

Analyse des menschlichen Bewegungsapparats per Handy-Video

Das Start-up Aimo kooperiert seit einigen Jahren mit dem Rückversicherer Gen Re. Aimo hat auf Basis visueller digitaler Technologien eine Smartphone-App entwickelt, die es erlaubt, selbständig mit der Kamera des Smartphones einen Bewegungsscan durchzuführen. Damit können Bewegungseinschränkungen des Nutzers erkannt, analysiert und anschließend mit Hilfe eines Übungsplans verbessert werden. Eine 3D-Tiefenkamera ist in der Lage, auf Basis von Bewegungsdaten komplette Bewegungsmuster zu erkennen und zu bewerten.

Aus dem Bewegungsscan wird entsprechend der Bewegungsfertigkeiten des Nutzers ein Bewegungsscore errechnet. Das Ziel von Aimo und Gen Re ist es, den Score für die Risikoprüfung nutzbar zu machen, wie aus einer Veröffentlichung vom 24. Juni 2020 auf der Webseite von Gen Re hervorgeht. Demnach soll der Score auf die Anforderungen im Risikoprüfungsprozess von Kranken- und Lebensversicherungen mit einer validierten und automatisierten Methode zur Bewertung der körperlichen Gesundheit, v.a. des Bewegungsapparates, zugeschnitten werden. Mit Hilfe des Scores, so das Ziel, könnte der Risikoprüfungs- und Antragsprozess deutlich effizienter gestaltet werden.

Der Einsatz einer solchen Anwendung unterliegt in der EU und in Deutschland strengen Datenschutzvorschriften.

Betriebsunterbrechungsrisiken aufspüren

Der Versicherer Allianz setzt Maschinelles Lernen bei der Risikoprüfung und beim automatisierten Abschluss von Versicherungsverträgen im KMU-Segment ein. Dieser Trend wird sich allmählich auch auf das gewerbliche Großkundengeschäft ausweiten, heißt es bei der Allianz. Der Industrieversicherer für Unternehmens- und Spezialrisiken innerhalb der Allianz, AGCS (Allianz Global Corporate & Specialty), bietet ein auf ML basierendes Tool, das besonders hohe Betriebsunterbrechungsrisiken in Lieferketten aufspürt. Diese Lösung analysiert Big Data, um Netzwerke erfolgskritischer Lieferanten in den verschiedenen Wirtschaftszweigen zu identifizieren.

Automatisierte Risikoprüfung in der Lebensversicherung

Die SV Sparkassenversicherung setzt seit September 2020 ein KI-Modell zur automatisierten Risikoprüfung im Lebens-Antragsprozess ein, vor allem bei Risikolebens- und Berufsunfähigkeitsversicherungen, wie die Versicherung am 16. Oktober 2020 berichtet. Im Big Data Lab, ein auf den Einsatz von Big-Data-Analysen spezialisiertes Entwicklungslabor der Sparkassenversicherung, wurden dazu Modelle entwickelt, mit denen Prozesse, die bislang für eine Dunkelverarbeitung zu komplex waren, automatisiert werden können. Die gesundheitliche Risikoprüfung sei einer der häufigsten Gründe, weshalb ein Antrag aus der Dunkelverarbeitung herausgesteuert und dann manuell weiterverarbeitet werden müsse, so die Sparkassenversicherung. Mit dem KI-Modell sei der Versicherer effizienter, schneller und kundenfreundlicher.

Kunden regulieren Schäden mit Hilfe von KI selbst

Anfang 2021 führte die Sparkassenversicherung einen weiteren digitalen Kundenservice zur Schadenregulierung ein, wie aus einer Pressemitteilung vom 1. März 2021 hervorgeht. Die Kunden können demnach die Angaben zu ihrem Schaden online eingeben. Auf Basis historischer Daten und einer Online-Preissuche wird mit Hilfe von KI eine angemessene Regulierungssumme ermittelt. Wenn der Kunde den Vorschlag zur Regulierung des Schadens akzeptiert, wird das Geld automatisch auf sein Konto überwiesen. Das begeistere und habe arbeitsökonomische Vorteile, sagt Pirmin Dangelmaier, Abteilungsdirektor Unternehmenssteuerung und Prozesse bei der Sparkassenversicherung. „Jetzt ermittelt die KI einen passenden Preis, den ein Sachbearbeiter früher manuell per Vergleich herausfinden musste“, erläutert Dangelmaier.

Data Lake mit Risikoinformationen aus mehreren Jahrzehnten

Munich Re hat während ihrerlangjährigen Unternehmensgeschichte enorme Datenmengen generiert – aus den Bereichen Naturkatastrophen, Klima, Immobilien, Medizin, Cybercrime, etc. Nun will der Konzern diese Daten nutzen, um Risiken besser zu verstehen und neue analytische oder datengetriebene Services für Erstversicherer anbieten zu können. Wie das Fachportal „Versicherungswirtschaft heute“ am 18. August 2020 berichtet, hat der Rückversicherer in Zusammenarbeit mit der Alexander Thamm GmbH einen Data Lake entwickelt, um die gesamten Daten des Konzerns an einer zentralen Stelle zu sammeln und zu speichern. Über interne und externe Data Pipelines fließen Daten von internen Abteilungen und externen Kunden in den Datenpool, die dann wiederum von Datenanalyse-Services weiter verarbeitet werden.

Grundlage für umfassende Datenanalysen

In dem Data Lake werden die Daten im Rohformat aus verschiedenen Quellen, egal, ob Bilder, Texte, Zahlen, Grafiken oder Videos gespeichert. Eine Data Pipeline zieht die Daten aus den Quellsystemen, prüft deren Qualität, bereinigt sie und legt sie im Lake ab. Damit verringert sich der Zeitaufwand für Exploration, Aufbereitung und Zusammenfassung massiv, so Munich Re. Das ist die Grundlage für übergreifende Datenanalysen.

Munich Re arbeitet intensiv am Thema KI für Data Management (Augmented Data Management). Einen konkreten Anwendungsfall sieht Munich Re im Aufbau versicherungsspezifischer Datenpools für Kunden. „Dieser Datenpool hat wesentlich mehr Wissen als ein einzelner Versicherer je aufbauen könnte. Munich Re bietet eigene Daten, die Technologie und das Versicherungs-Know-how und kann so Pools für Kunden bauen“, sagt Andreas Kohlmaier, Head of Data Engineering bei Munich Re im August 2020.

KI-basierte Prüfung von Krankenhausrechnungen

Die Versicherungskammer Bayern (VKB) erhält eigenen Angaben zufolge jährlich über 100.000 komplexe Krankenhausrechungen. Während die Überprüfung der Rechnungen früher durch Sachbearbeiter mit medizinischem Fachwissen durchgeführt wurde, setzt der Versicherer heute die KI-basierte Software StARS ein. Die Software identifiziert mit Hilfe von Maschinellem Lernen Strukturen und Muster in einer Vielzahl interner und externer Daten. Daraus generiert es Bewertungen von Krankenhausrechnungen und prüft automatisiert, ob medizinisch und kodierrechtlich korrekt berechnet wurde. Das System gibt nur die Fälle an Experten zur Prüfung weiter, die mit hoher Wahrscheinlichkeit fehlerhaft sind. Die Lösung lernt selbständig aus jedem neuen Fall und passt sich dynamisch und ohne manuelle Eingriffe an Veränderungen des Abrechnungssystems an.

Wie die VKB im Dezember 2020 mitteilt, ermöglicht das System inzwischen die Dokumentation eines kompletten Krankenhausaufenthalts. Dafür verwendet StARS Natural Language Processing (NLP). Unter Natural Language Processing versteht man den Versuch, natürliche Sprache zu erfassen und mit Hilfe von Regeln und Algorithmen computerbasiert zu verarbeiten, mit dem Ziel, eine Kommunikation zwischen Mensch und Computer per Sprache zu schaffen.

Sind Sie schon darauf gespannt, wie Versicherer KI in der Produktentwicklung, im Marketing oder in der Kundenkommunikation einsetzen? Keine Sorge – in unserem nächsten Beitrag stellen wir Ihnen weitere interessante Use Cases vor.

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