Digitalisierung
Versicherungsvertrieb in einer digitalen Welt (1)

Versicherer müssen den Kunden und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten stellen, um in einer digitalen Welt erfolgreich zu sein. Die Erwartungen des Kunden haben sich mit Blick auf die rasant voranschreitende Digitalisierung grundlegend verändert. Kunden wollen in einer von Amazon & Co. geprägten Welt vor allem einfache Produkte und unkomplizierte Prozesse, die sie teils auch selbst abwickeln können. Kunden nehmen digitale Prozesse über alle Branchen hinweg immer stärker in Anspruch und sind zunehmend an umfassenden Servicenetzwerken, sprich digitalen Ökosystemen, interessiert.
Was bedeutet das für die Versicherer? Welche Wege müssen sie gehen, um den Kunden an dem Ort und zu dem Zeitpunkt abzuholen, an dem seine Bedürfnisse entstehen? Warum reicht der von Versicherern seit Jahren verfolgte produktzentrierte Ansatz nicht mehr aus, um sich nachhaltig von Wettbewerbern abzuheben? Welche Vorteile bietet eine modulare Produktwelt? Welche Rolle spielen digitale Plattformen und Ökosysteme? Und warum erlebt Bancassurance eine Renaissance? Mit diesen Fragen wollen wir uns in den kommenden Beiträgen befassen.
Kunden denken nicht in Sparten
In diesem ersten Beitrag geht es darum, wie Versicherer ihre Kundenbasis sichern und zugleich neue Kunden gewinnen können. Die Gefahr durch neue Wettbewerber ist groß und wer konkurrenzfähig bleiben will, muss den Kunden über alle Lebensbereiche mit hoch individualisierten Produkten begleiten. Dafür müssen Unternehmen die Perspektive des Kunden einnehmen und sich in die Rolle des Kunden versetzen. Das heißt auch: Weg von den klassischen Sparten wie Sach-, Lebens- oder Krankenversicherung. Kunden denken nicht über Sparten nach, sondern über Risiken und Gefahren, denen sie sich in bestimmten Lebenssituationen ausgesetzt sehen und gegen die sie sich absichern wollen.
„Kundeninteressen und Vertriebsziele stimmen nur selten überein“
Viele Versicherer verfolgen seit Jahrzehnten einen produktzentrierten Ansatz, d.h., sie entwickeln ihre Produkte stetig weiter, optimieren und perfektionieren sie. Sie konzentrieren sich insbesondere auf ihre Produkte, Prozesse und den Vertrieb. Keine Frage, dass das für einen leistungsfähigen Versicherungsbetrieb eine wichtige Rolle spielt. Allerdings besteht bei dieser Inside-Out-Perspektive die Gefahr, aus den Augen zu verlieren, was der moderne Kunde wirklich möchte. „Wir fokussieren uns häufig darauf, beim Kunden den Bedarf für solche Produkte zu wecken, die uns als Unternehmen oder Vertriebler helfen, unsere Vertriebsziele zu erreichen“, kritisiert auch der Insurtech-Experte Robin Kiera in einem Kommentar vom 23.05.2019 in dem Online-Fachmagazin „Versicherungsbote“. „Und weil es so selten eine Übereinstimmung zwischen Kundeninteressen und Vertriebszielen gibt, müssen allerlei verkaufspsychologische Grundsätze bemüht, Bedarfe und Versicherungslücken aufgezeigt werden.“
Doch die Bedürfnisse des Kunden zu kennen und die Produktwelt danach auszurichten, ist heute nicht nur notwendig, sondern überlebensnotwendig. Neue digitale Produkte und Services sollten dem Kunden echten Mehrwert bieten und ihm dabei helfen, die Risiken seines Lebens zu managen. So könnten Versicherer Vertrauen aufbauen, meint Kiera. „Es ist dieses Vertrauen in die Produkte und den Service, die Apple, Google und Amazon zu den wertvollsten Unternehmen der Welt gemacht haben.“
Gefahr durch Branchenneulinge
Das legen auch aktuelle Studien nahe wie die Analyse „Entschlüsselung der Kunden-DNS“ der Unternehmensberatung Bain & Company, die im April 2019 veröffentlicht wurde. So sehen jüngere Kunden ihre Bedürfnisse von großen Internet-Unternehmen und einfallsreichen Insurtechs besser wahrgenommen als von der Versicherungswirtschaft. Die große Mehrheit der unter 35-Jährigen (74 Prozent) ist demnach offen für Angebote von Branchenneulingen. Nach eigenen Angaben könnten sie sich am ehesten für Versicherungsprodukte etablierter Hightech-Anbieter begeistern. Diese Offenheit schafft Raum für neue Wettbewerber, warnen die Experten.
Individuelle und altersgerechte Ansprache
Ein weiterer zentraler Faktor ist die Kommunikation: Kunden erwarten einfache, schnelle und nutzerfreundliche Prozesse und Kommunikationsmöglichkeiten. Sie wollen auf der Suche nach dem passenden Angebot schnell zum Ziel gelangen. Zudem wollen fast 40 Prozent von den Versicherern altersgerecht und individuell angesprochen werden, so dass es für sie persönlich passt. Versicherer sollten ihre Produkte und die damit verbundenen Leistungen so erklären, dass man die Zusammenhänge versteht und die Kommunikation so einfach und knapp wie möglich gestaltet. Das geht aus einer Millenials-Studie der Nürnberger Versicherung und des F.A.Z.-Instituts aus dem vergangenen Jahr hervor.
Auf die veränderten Biografien der jüngeren Generation eingehen
Vor allem jüngere Kunden fordern eine stärkere Orientierung der Versicherungsunternehmen an ihrer Zielgruppe. Hierzu zählen ein modernes und jüngeres Image der Branche, die Berücksichtigung individueller Kundenbedürfnisse und die Entwicklung spezifischer Produkte, die auf die veränderten Biografien und Karrierewege der jungen Generation zugeschnitten sind. Millennials gelten als Digital Natives. Sie shoppen online, bestellen das Abendessen über Deliveroo, streamen Musik und unterhalten sich per Chat. Selbstverständlich wollen sie auch alles rund um ihre Versicherungen online abwickeln und Vertragsabschlüsse schnell und einfach erledigen, heißt es in der Millenials-Studie.
Omnikanalfähigkeit scheitert meist an der IT
Der digitale Kunde ist auf unterschiedlichen Kommunikationskanälen und Endgeräten unterwegs: E-Mail, Smartphone-Apps, Whatsapp oder Messenger-Dienste. Die Mehrheit der Kunden informiert sich im Internet, sucht dann aber mit diesem Vorwissen gerade bei komplexen Produkten gerne einen Berater auf, schreibt das Handelsblatt am 26.03.2019 unter Berufung auf die Meinungsforscher von der GfK und die Unternehmensberatung McKinsey. Der Anteil dieser hybriden Kunden liegt demnach mittelfristig bei 70 Prozent.
Stichwort: Omnikanalfähigkeit. Doch genau daran haperts noch bei vielen Versicherern. Nur 16 Prozent haben bislang eine umfassende Kundenkommunikation über alle Kontaktkanäle hinweg implementiert, berichtet Pfefferminzia in einem Artikel vom 05.04.2019 und bezieht sich dabei auf das Ergebnis einer Umfrage unter ca. 80 Führungskräften der Assekuranz im Rahmen eines Versicherungs-Roundtables des Beratungsunternehmens EY Innovalue. Der häufigste Grund für mangelnde Omnikanalfähigkeit sind fehlende IT-Voraussetzungen.
Digitale und traditionelle Vertriebswege ergänzen sich
Die IT-Architektur muss es ermöglichen, dass der hybride Kunde jederzeit über verschiedene Devices und Kanäle mit dem Versicherer in Kontakt treten und dabei nahtlos zwischen digitalen und traditionellen Vertriebs- und Servicekanälen wechseln kann. Digitale und traditionelle Vertriebswege stehen dabei nicht in Konkurrenz miteinander, sondern ergänzen sich sinnvoll zu einem überzeugenden Kundenerlebnis.
Die IT muss die Voraussetzung schaffen, dass alle Informationen/Anträge/Angebote im Rahmen einer Kunden-Recherche über verschiedene Kanäle in einem zentralen Angebotsspeicher zusammengeführt werden bzw. einem Vertriebsmitarbeiter oder Vermittler als qualifizierter Lead zur Verfügung stehen. Aus den gebündelten Daten aus allen Interaktionen lässt sich ein genaueres Bild der aktuellen Situation des Kunden oder Interessenten gewinnen. Marketing und Vertrieb können darauf mit kontextrelevanten und personalisierten Angeboten reagieren. Damit erhöht sich auch das Cross- und Upselling-Potential.
Weg von Sparten, hin zu Modulen
Zusammengefasst heißt das: Kunden wollen einfache, gut verständliche, persönlich passende und individuelle Angebote über alle Kommunikationskanäle hinweg, die sich an ihrer konkreten Lebenssituation orientieren. Wie können diese Erwartungen erfüllt werden? Mirko Theine, Versicherungsmanager der Strategie- und Managementberatung zeb, schlägt vor, einen völlig neuen Weg einzuschlagen: Um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu sein, sollten sich Versicherer von ihren Sparten verabschieden.
Wie Versicherer das Spartendenken/Silo-Denken überwinden und sich stattdessen mit einer durch Modularität geprägten Produktwelt von der Konkurrenz abheben können, lesen Sie im nächsten Beitrag: „Modulare Baukästen: Versicherungsvertrieb in einer digitalen Welt (2)“.
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