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Digitalisierung

Digitale Ökosysteme: Chinesische Versicherer nutzen Potenziale

Von Michaela Duhr / 22. Januar 2019

Das Reich der Mitte gilt als vielversprechender Versicherungsmarkt. Gekennzeichnet durch eine aufblühende Mittelklasse, die sich aufgrund eines schnell wachsenden Wohlstandes zunehmend für Versicherungen interessiert. Im Vergleich zu anderen Ländern weist China bislang eine eher geringe Durchdringung mit Versicherungsprodukten auf.

Zudem sind mobile Endgeräte sehr weit verbreitet und die Zahl von Internetnutzern wächst rasant. Aktuelle Daten des China Internet Network Information Centre verdeutlichen das enorme Potential des chinesischen Marktes. Bis Ende Juni 2018 stieg die Zahl der Menschen mit Zugang zum Internet auf rund 802 Millionen. Das sind mehr als 57 Prozent der chinesischen Bevölkerung. Davon sind mehr als 95 Prozent, sprich rund 753 Millionen, mobil im Internet unterwegs. Mehr als 71 Prozent der Internetnutzer shoppen und bezahlen online. Laut „Industry Report: China Insurtech“* der Unternehmensberatung Oliver Wyman aus dem Jahr 2016, nutzen rund 455 Millionen Online-Payment und knapp 450 Millionen kaufen online ein. Die Zahlen dürften inzwischen noch höher sein.

Insurtechs revolutionieren den chinesischen Versicherungsmarkt

China stieg 2017 gemessen am Beitragsaufkommen zum zweitgrößten Versicherungsmarkt nach den USA auf, wie aus der World Insurance Study von Swiss Re hervorgeht. Das IT-Beratungshaus Accenture schätzt, dass der Markt für Online-Versicherungen in China in 2018 einen Umsatz von rund 60 Milliarden Dollar erwirtschaftet und damit einen Marktanteil von 12 Prozent erreichen wird. Entsprechend geht die Unternehmensberatung Oliver Wyman im Industry Report „China Insurtech“* davon aus, dass der Insurtech-Markt von 37 Milliarden Dollar in 2015 auf 174 Milliarden Dollar in 2020 steigen wird. „In China weist der unterentwickelte Versicherungsmarkt ein zweistelliges Wachstum aus“, heißt es in der Studie. „Die durch Insurtechs angestoßenen Disruptionen revolutionieren den Versicherungsmarkt.“ Ein wesentlicher Grund dafür, so die Analysten, sei die schnelle Akzeptanz und große Nutzung von Online-Ökosystemen wie der Online-Marktplatz Taobao, B2C-Marktplätze wie Tmall und JD.com oder soziale Netzwerke wie WeChat. Dabei unterstützten die Regulierungsbehörden die Ideen und Innovationen der Insurtech-Szene.

Das bestätigt auch Asien-Analyst Paul Schulte: „In China haben wir nahezu perfekte Bedingungen für eine Disruption. Technikaffine und finanziell gut ausgestattete Internetfirmen wie Alibaba oder Tencent, erfinden Versicherungsmodelle ausgehend von einer Digital-First-Perspektive. Und dies in einem unterstützenden regulatorischen Umfeld. Diese Modelle könnten sich weltweit schneller verbreiten als erwartet“, sagt Schulte laut Online-Nachrichtenmagazin Raconteur. Das von Schulte gegründete Beratungsunternehmen Schulte Research berät seit 2012 Finanzinstitute und Regierungen – v.a. hinsichtlich der Entwicklung disruptiver Techonologien und deren Einfluss auf Finanzinstitutionen.

„Zhong An ist mit seinen innovativen Versicherungsprodukten in China sicherlich ein bedeutender Durchbruch gelungen. Aber wir werden in dieser Richtung noch weitere Entwicklungen sehen“, prophezeit Matthew Wong, Analyst der New Yorker Risikokapital-Datenbank CB Insight laut Forbes.com.

Chinesische Online-Plattformen bieten enorme Reichweiten

So hat der Internetkonzern Tencent nach dem Erfolg von Zhong An den zukunftsträchtigen Versicherungsmarkt weiter im Visier: Die Versicherungsagentur Weimin Insurance Agency, an der Tencent die Mehrheit hält, darf Versicherungsprodukte über die zu Tencent gehörenden äußerst populären Messenger-Dienste WeChat und QQ verkaufen. Die Regulierungsbehörden gaben Weimin im Oktober 2017 grünes Licht. Allein über WeChat kann die Versicherungsagentur auf einen Schlag über eine Milliarde aktive Nutzer erreichen.

Außerdem arbeitet der Internetkonzern Tencent, der neben Alibaba mit zu den wertvollsten chinesischen Unternehmen zählt, mit weiteren Investoren daran, einen Online-Lebensversicherer am Markt zu etablieren. Der Lebensversicherer Hetai Life Insurance, an dem Tencent mit 15 Prozent beteiligt ist, hat bereits eine Lizenz. Ausgestattet mit 219 Millionen Dollar erhielt das Unternehmen Anfang 2017 auch die Betriebsgenehmigung der chinesischen Regulierer.

Darüber hinaus hält der Konzern einen Anteil von 20 Prozent an dem in London ansässigen Unternehmen Aviva. Der weltweit agierende Versicherer hat sich mit Tencent und der Investmentgesellschaft Hillhouse Capital darauf verständigt, das Hongkong-Geschäft von Aviva in einen digitalen Versicherer umzuwandeln, der Lebensversicherungen und Investmentprodukte online verkauft.

Take Care of the Beautiful Cook

Andere Internet-Giganten sind ebenfalls nicht untätig. Die Alibaba-Finanztochter Ant Financial bietet über ihren äußerst populären Online-Bezahldienst Alipay auch Versicherungsprodukte. Wer Angst hat, sich beim Kochen zu schneiden oder zu verbrennen, kann über die Plattform das „Take Care of the Beautiful Cook“-Paket kaufen und damit auf Nummer sicher gehen. Nach Angaben des Unternehmens werden über die Plattform Alipay derzeit über 500 Millionen Menschen erreicht. Ant Financial setzt auf Künstliche Intelligenz und Big Data. Sie teilen ihre Daten mit zahlreichen anderen Versicherern, um genauere Prognosen zu ermöglichen und das Risikomanagement zu verbessern. „Künstliche Intelligenz wird in jedem Bereich von Ant Financial eingesetzt“, sagt der Datenspezialist und Vizepräsident von Ant Financial Yuan Qi laut Online-Ausgabe des MIT Technology Review. „Wir nutzen KI um unser Geschäft zu optimieren und neue Produkte zu entwickeln.“

Internetkonzerne drängen ins Versicherungsgeschäft

„Internetkonzerne werden nicht nur als Händler oder Vertriebspartner auftreten“, sagt auch der Analyst Chen Maochuan von Analysis International, einem Beratungs- und Informationsanbieter. „Große Internetfirmen werden sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, die durch die schnell wachsende Nachfrage nach Fintech-Services und vor allem nach internetbasierten Versicherungsprodukten entsteht“, zitiert ihn die Zeitung „China Daily“. Die Entwicklung wird dahingehen, dass Internetkonzerne entlang der gesamten Lieferkette die Nachfrage im Versicherungsmarkt erfüllen werden, sagt Chen Maochuan.

Viel Bewegung gibt es auch im Bereich Peer-to-Peer-Insurance (P2P-Insurance). „Das sind echte Nischen“, sagt Jonathin Li, dessen chinesische Venture-Capital-Firma NewMargin Capital seit Jahren den P2P-Markt beobachtet. „Und die Produkte gehen Hand in Hand mit dem Hype um Selbsthilfe, worauf die Geschäftsmodelle basieren.“ P2P-Startups wie z.B. Tongjubao bieten ungewöhnliche Produkte. Sie versichern Kunden gegen soziale Risiken wie Scheidung oder vermisste Kinder. Die Kunden treten einem sozialen Netzwerk bei, in das auch die Versicherungsbeiträge fließen. Wenn sich in der Gruppe niemand scheiden lässt, bekommen alle einen Teil ihrer Beiträge zurück.

Welche Insurtechs haben in China das meiste Potential? Welche deutschen Versicherer streben ins Reich der Mitte? Dies können Sie im nächsten Beitrag zum chinesischen Versicherungsmarkt erfahren.

*Quelle: Oliver Wyman, Grafik 23, Seite 31

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